Sandeep Abraham gehört zu den bekannten und preisgekrönten DOPs/Kameramännern der Schweiz. Es sind kommerzielle Arbeiten wie Werbungen für u.a. Migros, Microsoft oder Samsung sowie auch persönliche Projekte, die seinen Arbeitsalltag füllen. Warum gerade Filme sein Interesse geweckt haben und welche Art von Zuschauer er ist, lest ihr hier.

Warum Filme?
Ich liebe Filme – schon seit ich klein bin. Mit etwa dreizehn Jahren habe ich den Film «Fight Club» gesehen. Da war es auf Anhieb klar, dass ich in diesem Bereich gross werden möchte. Bereits in der Schule habe ich dann die Videos vom Skilager zusammengeschnitten. Daraus hat sich ein tolles Hobby entwickelt, das ich dann während dem Studium ausbauen konnte und in meinen jetzigen Job überführen konnte.
Welche Skills braucht es als DOP?
Als DOP geht es hauptsächlich darum, ein Bild so zu gestalten, damit es der Vorstellung der Regie entspricht. Das heisst, man muss die Kamera- und Lichttechnik verstehen. Ich empfehle immer, zuerst ein Praktikum als Kameraassistent o.ä. zu absolvieren. So sieht man, wie andere arbeiten und lernt wie man selbst arbeiten möchte.
Wie wichtig sind dir Auszeichnungen?
Dieses Thema muss man differenziert betrachten. Auszeichnungen sind für mich nicht wichtig, wenn es darum geht, dass ich jeden Film einreichen und dann auch gewinnen muss. Sprich: Materieller Wert. Auf der anderen Seite ist es aber wunderschön zu sehen, wenn ein Projekt gut ankommt und das Team eine solche Form der Bestätigung erhält. Die Veranstaltungen geben den behandelten Themen auch ein Gewicht. Zudem ist es so, dass Auszeichnungen den Kunden zeigen, dass man weiss, wovon man spricht. Quasi ein Stempel, der Sicherheit gibt.
Was macht in deinen Augen Filme, Werbefilme, Serien aus?
Ich persönlich schaue stets stark auf die technische Umsetzung. Wenn jemand eine Geschichte geschrieben hat, die mich so in den Bann zieht und ich deshalb vergesse, auf die technischen Details zu schauen, dann ist der Film für mich erfolgreich. Ich bin dann so gefesselt, dass ich mir gar keine Gedanken zur Produktion mache und wie der Film entstanden ist.
Was läuft in deinem TV und wie schaust du dir Filme/Serien an?
Ich schaue zurzeit alle Plattformen durch und schaue Filme natürlich oft mehrmals. Nehmen wir einen guten Film wie beispielsweise «Inception». Beim ersten Mal bin ich in der Story drin. Beim zweiten Mal schaue ich auf die Details in möglichst jeder Einstellung, auf die versteckten Zeichen und sonstige Informationen, die sie erzählen wollten. Beim dritten Mal geht es dann um die technischen Details. Wie viele Kameraeinstellungen brauchten sie bei Szene X?
Dann sind Filme für dich eine Art (Weiter-)bildung?
Kann man so sagen. Es ist das Bewusstsein, das zu einem Learning führt und mich in meiner Machart weiterbringt. Denn bei einem Spielfilm musst du so viele Dinge miteinberechnen. In der Analyse von anderen Filmen fragt du dich, warum du gerade das eine Bild gut findest - oder eben nicht. Ist es das Licht, die Kamera oder die schauspielerische Leistung? Würde die Szene funktionieren, wenn ich es mit meiner Methode machen würde? So entwickelst du dich schrittweise.
Wie wichtig ist Perfektionismus in deinem Berufsalltag?
Aus meiner Sicht ist diese Charaktereigenschaft sehr wichtig. Deshalb ergeben sich auch jeweils Streitgespräche oder Diskussionen zwischen RegisseurIn, ProduzentIn und DOP. Aus meinem Blickwinkel sehe ich die Komposition vor mir. Detailliert. Wer wann wo weshalb steht. Wenn man nur ein paar Zentimeter verrutscht, verändert sich die gesamte Wirkung. Mein Ziel ist es, dass es top aussieht. Aus Sicht der Regie ist Perfektionismus weniger wichtig. Dort sind es genau die kleinen Fehler - von Seiten der SchauspielerInnen oder Technik - die das Ganze menschlich machen und man sich als ZuschauerIn identifizieren kann.
Was zählt für dich mehr: Technik oder Talent?
Letzteres. Wenn du technisch nicht ganz sattelfest bist, kannst du mit deinem Talent problemlos Leute in dein Team holen, die die Technik bereits beherrschen. Dann sagst du ihnen lediglich, wie es auszusehen hat. Umgekehrt wird es schwieriger. Wenn du die komplexesten Kameras bedienen kannst und auch sonst die technischen Details verstehst, dir aber Kreativität fehlt, wird es schwer, spannenden und neuen Content zu kreieren. So sieht jedes Bild und jeder Film gleich aus, obwohl es unterschiedliche Kameramänner sind. Man sieht das bereits jetzt mit den Analog-Look-Trend. Und das ist aus Sicht eines DOPs nicht gut. Am Ende des Tages willst du eine Message rüberbringen.
Schreibst du auch?
Ja, aber nur wenig. Ich habe schon Drehbücher geschrieben, aber meine Leidenschaft liegt beim Filmen. Ich schreibe jeweils das Grobkonzept und lass dann jemanden das Drehbuch ausarbeiten. Es ist gut und wichtig zu wissen, wo die eigenen Stärken liegen.
Wie siehst du die Generation Influencer/Content Creators?
Es ist eine coole Entwicklung, aber man muss unterscheiden. Influencer als Content Producer gehen in die Richtung, dass sie guten Content in kürzester Zeit erstellen. Sie überlegen sich viel zum Thema Storytelling und wie sie mit dem vorhandenen Gadget etwas Interessantes inszenieren können. TikTok zeigt dies wunderbar mit all den kreativen Beiträgen. Es sind nun Trends da, die ich bereits vor Jahren im Studium gelernt habe. Auffallend ist, dass sich dann alle auf diese Trends fokussieren und sich gegenseitig kopieren. Auf diese Weise hast du einen Unterbruch in deiner persönlichen Kreativität. Das können DOP und Regie nicht brauchen, denn bei uns geht es darum, etwas Eigenes, Einmalige zu erschaffen und darin eine eigene Signatur zu entwickeln.
Wie findet man diese Signatur?
Ich würde sagen, dass diese automatisch kommt. Du siehst es ja auch bei dir selbst. Es gibt immer wieder bestimmte Looks von anderen Arbeiten, die dir gefallen. Die hast du immer wieder in deiner Datenbank und auch deiner Erinnerung drin. Dann versuchst du in diese Richtung zu gehen, diesen Stil zuerst zu kopieren, bevor du dann deine eigene Kreativität und Machart einfliessen lässt. Daraus ergibt sich dein eigener, einzigartiger Workflow.
Du bist durch deine Smartphone-Projekte bekannt geworden. Ist dies noch ein Thema?
Es ist immer wieder ein Thema, vor allem bei Wettbewerben wie beim ZFF 72. Es gibt jährlich Festivals oder Wettbewerbe bei denen ich in der Jury sitze und es darum geht, Beiträge zu beurteilen, die mit einem Smartphone erstellt wurden. Ich selbst komme nicht mehr wirklich dazu, weil wir uns bei Kurzfilmen und anderen Projekten direkt dafür entscheiden, das vorhandene Kameraequipment zu benutzen. Für die Smartphone-Version würde ich mich nur noch dann entscheiden, wenn der Kunde es ausdrücklich wünscht oder wenn es zur Story passt.
Was fühlst du, wenn du deine eigenen Arbeiten siehst?
(lacht) Wenn es ein guter Film ist, dann natürlich Freude. Vor allem beim ersten Mal ist es eine Mischung aus Kribbeln, Vorfreude und Anspannung. Dies aus dem Grund, weil ich beim Schneidprozess manchmal nicht dabei bin. Dann siehst du es auf der Leinwand zum ersten Mal. Es ist auch eine Form der Entspannung, weil du in diesem Moment mit dem Projekt abschliessen kannst. Bis dann hast du es immer im Hinterkopf und fragst dich, ob das Projekt noch läuft, was der Stand der Dinge ist, etc.
Wie gehst du damit um, wenn gewisse Szenen, die du speziell gut fandest, es nicht in die Endfassung geschafft haben?
Ach, die lieben «Kill your Darlings-Momente». Szenen, die rausgenommen werden, obwohl man so viel Zeit investiert hat und sie am Set richtig gut fand. Damit muss man leider immer rechnen und lernen, wie man damit umgeht. Denn der/die CutterIn sieht das Ganze objektiv und wertneutral. Wenn eine Einstellung keinen Sinn macht, ist es zwar schade, aber vermutlich auch besser so. Diese Szenen brauche ich dann aber gerne für mein Showreel.
Wie sehen deine nächsten Ziele/Projekte aus?
Momentan bin ich dran, mein Produktionsfirma weiter auszubauen. Zusätzlich dazu arbeite ich an meinem Herzensprojekt. Ein Spielfilm, der mir seit Jahren in meinem Kopf rumgeistert. Den möchte ich produzieren. Dann hätte ich fast alles auf meiner beruflichen Bucketlist abgehakt.
Kannst du etwas darüber sagen?
Ein wenig. Es geht um die Geschichte, wie ich die beiden Kulturen - indisch und schweizerisch - gesehen und gelernt habe. Die indische Mentalität ist eher konservativ, das Westliche ist offen. Ich wurde stets mit beiden Seiten konfrontiert und musste einen gesunden Mittelweg finden. Was ist richtig? Was ist falsch? Wie passe ich in die Gesellschaft?