Frank Bodin gehört seit Jahrzehnten zu den renommiertesten Werbern der Schweiz. Über 18 Jahre war er Chairman und CEO von Euro RSCG bzw. Havas – zuletzt war er für 75 Länder als Kreativer mitverantwortlich. Seit 2020 hat er sein eigenes Unternehmen: bodin.consulting. Keine Agentur, sondern ein international tätiges Team für Strategie, Branding und kreative Werbung. Er ist zudem unter anderem Verwaltungsratspräsident der furrerhugi.holding AG, Präsident des ADC Switzerland, Gastdozent an mehreren Universitäten und gefragter Referent im In- und Ausland.

Was bedeutet Werbung für dich?
In meinen Augen ist Werbung die Kunst der Verführung und letztendlich mit einem Date vergleichbar. Man bereitet sich vor, stimmt sich aufs Gegenüber ein, gibt sich Mühe, zeigt sich im richtigen Licht. Heute liegt die Herausforderung in den unendlichen technologischen und digitalen Möglichkeiten, in denen man sich nicht selten verirrt. Die Qualität darf nicht vergessen werden. Denn man darf eines nicht ausser Acht lassen: Normalerweise mag der Mensch keine Werbung. Auch keine gute. Damit ich jemanden im richtigen Zeitpunkt erreichen und überzeugen kann, muss ich mir schon ein bisschen mehr Mühe geben und auch über die Inhalte im Detail nachdenken.
Wie kann man Werbung beurteilen und einordnen?
Dazu gibt es unterschiedliche Systeme, Qualitätskriterien und Leistungskennzahlen. Ich persönlich habe dazu ein eigenes, sehr einfaches Instrument erstellt und als globaler Kreativchef von Havas in 266 Agenturen eingeführt. Es sind lediglich drei Fragen, die man mit einem «Ja» beantworten sollte. Macht die Werbung Sinn? Viele Werbungen erfüllen dieses erste Kriterium bereits nicht. Entweder ist es eine falsche Aussage, die transportiert wird oder es sind zu viele Aussagen, die verpackt werden. Zweitens: Bewegt die Werbung die Menschen und die Marke? Vielfach ist Werbung da, aber sie berührt uns nicht. Eine Reaktion unsererseits bleibt demnach aus. Das Ziel von Werbung ist es aber, etwas positiv zu verändern und das Publikum zu Reaktionen zu bewegen. Und dann, last but not least: Ist die Werbung vorbildlich? Dieser Punkt wird immer wichtiger. Die gesellschaftliche Verantwortung darf nicht unterschätzt werden.
Inwiefern?
In meiner Karriere habe ich das Privileg, zahlreiche Kanäle mit Werbung zu bespielen und damit ein Millionenpublikum zu erreichen. Das bringt eine grosse Verantwortung mit sich. Je länger je wichtiger ist es deshalb, dass sich WerberInnen in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen. Werbeagenturen dürfen Projekte mit gutem Gewissen ablehnen, wenn diese gegenüber der Gesellschaft womöglich nicht korrekt sind. Ich habe für die Agenturen, die ich verantwortete, einen Ethikkodex formuliert. Dies bedeutete im Umkehrschluss, dass man hie und da konsequenterweise auf Kunden verzichten musste.
Wo und wie findest du die passenden Ideen für Werbekampagnen?
Es gibt keinen bestimmten Ort. Für mich ist es immer eine intensive Auseinandersetzung mit den Kunden und den jeweiligen Aufgabenstellungen. Ideenfindung ist zudem meistens Teamwork, denn auf die passenden Lösungen kommt man oftmals gemeinsam. Da kommt mir meine analytische sowie pragmatische Seite zugute. Einerseits habe ich Jura studiert und bin an Mathematik interessiert und andererseits bin ich kreativ chaotisch. Die Mischung macht es in meinem Fall wohl aus.
Wie stehst du zum Thema Influencermarketing?
Als Erstes muss man den Begriff einordnen. InfluencerInnen sind keine neue Erfindung. Menschen waren schon immer an Menschen interessiert. Testimonial-Kampagnen gibt es seit Jahrzehnten. Es ist und war ein Weg, Aufmerksamkeit zu erlangen. Das grosse Fragezeichen ist jedoch jeweils die Glaubwürdigkeit. Nehmen wir zum Beispiel eine Tennisspielerin, die Werbung für eine Waschmaschine macht. Ein halbwegs intelligenter Mensch fragt sich berechtigterweise: Wäscht diese Sportlerin ihre Tennissocken überhaupt selbst? Es gibt aber auch wunderbare Beispiele wie der Spot von Schweiz Tourismus mit Roger Federer. Dieser Spot kommt glaubwürdig rüber und wurde dazu super umgesetzt. Das Testimonial, also in diesem Fall Roger Federer, wird nicht einfach dazu verwendet, um Reklame zu machen, sondern es ist die Story, die zählt, beim Publikum ankommt und in Erinnerung bleibt.
Welche Rolle nehmen InfluencerInnen in der Kategorie der Testimonials ein?
InfluencerInnen sind eine Unterkategorie und leben von Authentizität. Nicht zu vergessen, ist auch die Verantwortung, die man hat. Gegenüber der Marke als auch der Gesellschaft. Sich zu wichtig nehmen, ist daher keine Option. Man muss schon etwas können und abliefern. Ansonsten muss man sich als Unternehmen fragen, ob die Zusammenarbeit wirklich erstrebenswert ist. Denn es geht um viel mehr als das Aussehen. Man sollte aus Kundensicht somit immer genau hinschauen, denn man gibt für einen Moment die Markenführung aus der Hand. Wenn man es richtig macht, sind gut geplante Influencerkampagnen eine von vielen großartigen Werbemassnahmen.
Social Media oder klassische Werbung?
Das muss man immer projektbezogen anschauen. Viele Kunden sind mit den unzähligen neuen Möglichkeiten auf Social Media konfrontiert und wollen präsent sein. Das ist verständlich. Natürlich sind soziale Medien attraktiv, weil die Werbung vermeintlich messbar ist. Aber auch diese Zahlen muss man genau und relativiert anschauen. Bei einer guten Plakatkampagne weiss ich nicht, wie viele Likes und Klicks in der Realität vorhanden wären, sie kann aber hunderttausend Mal effektiver sein als eine Social Media Kampagne. Ich sehe Kunden, die sehr viel Zeit investieren, um ihre Mini-Community zu bespielen und sind glücklich, wenn ein Post 84 statt 37 Likes erhält. Da steht dann etwas für mich nicht so ganz im Verhältnis.
Kannst du ein Best Practice Beispiel nennen, das beide Werbeformen gut bedient?
Digitec Galaxus. Für mich ist das, was sie leisten, eine der hierzulande aktuell besten Beispiele auf moderne Art und Weise zu werben. Man sieht, wie kreativ sie Menschen über klassische Mittel erreichen. Sie wagen es auch, Ironie zu verwenden, obwohl man immer sagt, dass dies in der Schweiz nicht funktioniert. Auf Social Media sind sie auch stark, machen da aber nicht dasselbe wie auf Plakaten oder in ihren Werbespots. Auf Instagram legen sie den Fokus auf Contentmarketing und regen damit oftmals auch zu einem kritischen Diskurs an. Eine vernünftige und überzeugende Kampagnenführung, die jeder für sich studieren sollte.
Welche Trends siehst und erwartest du für die nächsten Jahre?
Der erste Trend ist Individualisierung. Durch immer mehr und immer gezieltere Daten habe ich die Möglichkeit, meine Werbung relevanter auszuspielen. Es geht nicht mehr um Zielgruppen, sondern um individuelle Zielpersonen. Der zweite Trend ist Automatisierung. Wenn man individuell arbeitet, kann man dies nicht für jede Person einzeln erfinden. Die Problematik ist aber die, dass man unter dem Trend der Individualisierung die Qualität der Inhalte vergisst.
Wann bist du Kopf- wann Herzmensch?
Eigentlich immer gleichzeitig. Das macht mich manchmal schwierig im Umgang, denke ich. Ich bin fasziniert von Schach und sehe Werbung wie eine Form davon. Es ist eine Art Mathematik. Oder auch wie Musik. Man entdeckt in der Mathematik der Musik eine unglaubliche Schönheit. Kopf und Herz gehen bei mir Hand in Hand. Die beiden Dinge kann ich nicht voneinander trennen. Andere arbeiten anders. Manchmal führt es zum Erfolg, manchmal nicht.
Erfolg und Misserfolg – wie gehst du mit Krisen, Rückschlägen, Schicksalen um?
Ich würde sagen, ich bin ein Stehaufmännchen. Ich war achtzehn Jahre lang Agenturchef, da hat man wunderbare Zeiten und eben auch sehr schwierige. Beides gehört dazu. Viele Mitarbeiter gleichzeitig zu entlassen, ist keine leichte Sache. Aber auch privat gab es gute und schlechte Zeiten. Der grosse Wendepunkt war dann vor ein paar Jahren. Meine Routine überstieg meine Passion und ich musste entscheiden, wie ich weitermache. Heute bin ich nicht mehr einfach Werber, sondern fokussiere mich auf Strategieberatung, Branding und Kommunikation. Werbung mache ich nach wie vor sehr gerne, aber nur dann, wenn der Anspruch an eine gewisse Qualität gegeben ist.